Zugegeben, viele Klischees über Deutschland sind mir in den USA nicht begegnet. Auf manche hatte ich mich sogar schon etwas gefreut... Ich wurde weder gefragt, ob es in Deutschland Kühlschränke gibt (das ist einer Bekannten passiert) noch ob es bei uns auch [hier beliebige große deutsche Automarke einsetzen] zu kaufen gibt (auch hier kenne ich jemanden, der das gefragt wurde).
Klischees über Deutschland/Deutsche
Dafür gab es en masse augenzwinkernde Hinweise auf Sauerkraut und Bratwurst (augenzwinkernd, weil es die Verwandtschaft war, die es natürlich besser weiß) und ich meine gemerkt zu haben, dass viele erstaunt waren, dass man als Deutscher so selbstverständlich Englisch spricht. Und nicht zu vergessen: das Oktoberfest! Ein Kellner meinte total ernsthaft "Und warum seid ihr hier, in den USA, und nicht in München auf dem Oktoberfest?" (Meine Antwort: "been there, done that - und ein Mal reicht" ;-) )
Riesige Autos, billiges Benzin
Dafür wurde fast jedes Klischee bestätigt, das man gemeinhin so über die USA hört: die Autos sind riesig und bevorzugt SUVs, u.a. auch, weil Benzin wesentlich billiger ist als hier (wir haben der Verwandtschaft vorgerechnet, was wir für eine gallon bezahlen - sie sind beinahe in Ohnmacht gefallen). Der niedrige Benzinpreis ist wohl auch schuld daran, dass man nirgends zu Fuß hingeht - selbst kürzeste Strecken werden mit dem Auto zurückgelegt. Und wenn es heißt "wir fahren, das ist nicht weit", kann es durchaus sein, dass man eine halbe Stunde oder länger im Auto sitzt. Was billige Spritpreise so alles ausmachen...
Ungesund vs. gesund
Dann das nächste Thema, das mir besonders extrem aufgefallen ist: gesundes kostet generell mehr als ungesundes (teilweise hat Wasser im Supermarkt wirklich deutlich mehr gekostet, als die gleiche Menge eines ungesunden Softdrinks). Obst und Gemüse in Supermärkten? In den kleinen Supermärkten mitten in der Stadt so gut wie unmöglich zu bekommen. Aber Knabberzeug, Süßkram und Sandwiches ohne irgendetwas gesundes darauf: gar kein Problem! Auch beim Essen ging das so weiter. Restaurant: häufig sehr teuer und selbst hier gab es viel zu oft kein Gemüse als Beilage, das höchste der Gefühle war gelegentlich ein Salat. Fast food gab es dagegen billig und an jeder Straßenecke... Da braucht man sich nicht wundern, warum viele Amerikaner entsprechend aussehen (das nächste bestätigte Klischee: Amerikaner sind dicker als Europäer).
Angestellte statt Hinweisschildern
Was mir gleich vom ersten Tag an extrem aufgefallen ist: wo man in Deutschland ein Schild aufstellen/aufhängen würde, stellt man in den USA einen Angestellten hin. Eine Tür ist vorübergehend nicht benutzbar? Garantiert steht ein wichtig aussehender Mensch davor, der einem das mitteilt und sagt, dass man aber selbstverständlich die nächste Tür benutzen könne. In Deutschland hätte man ein Schild vor die Tür gestellt (oder die nichtsahnenden Menschen ihr Glück versuchen lassen). Das gleiche Schema habe ich ständig beobachtet: auf dem Weg zum Aufzug des Emprire State Buildings, im Musical (statt "Fotografieren verboten"-Schildern rannten hier mehrere Angestellte durch die Reihen und wiesen Fotografierende darauf hin) und so weiter. Auch in Supermärkten arbeiten viel mehr Menschen als bei uns (Tüteneinpacker!) und in Restaurants gibt es Unmengen von Kellnern (was aber wohl eher daran liegt, dass die Kellner vom Trinkgeld leben, es für die Restaurants also billig ist...).
Kreditkarte statt Bargeld?
Ein weiteres Klischee wurde allerdings nur halb erfüllt: es heißt ja immer, dass man in den USA alles mit Kreditkarte bezahlt. Ja, das stimmt wohl (außer es geht gar nicht, das ist uns auch ein paar Mal begegnet...). Aber sehr viele Einheimische haben trotzdem bar gezahlt, teilweise (z.B. im Zug vom Philadelphia airport in die Stadt) konnte man nur bar zahlen.
Müllberge und Plastiktüten-Überangebot
An einem Abend wurden wir von der Verwandtschaft gefragt, was in unseren Augen die schlechteste Eigenschaft/Angewohnheit der Amerikaner ist. Man will ja nicht unhöflich sein, also haben wir lange überlegt. Eine Sache, die ich wirklich schlimm finde und die ich dann auch zur Sprache gebracht habe, ist die menge an Müll, die man jeden Tag unfreiwillig produziert. Das fängt beim Supermarkteinkauf an, wo man alles in kostenlose Plastiktüten gepackt bekommt (kauft man schwerere Dinge, werden gleich zwei oder drei Tüten übereinander gestülpt). Weiter geht es z.B. beim Picknick im Park, wo niemand Plastikschüsseln dabei hat, sondern nur Papier, Plastik, Alu: Papierteller, Plastikbesteck und so weiter. Unglaublich, wie viel Müll wir an manchen Tagen produziert haben! Vermutlich mehr, als in Deutschland in einer ganzen Woche. Ertaunlicherweise haben uns die Verwandten in diesem Punkt zugestimmt, sie meinten, es wäre besser, wenn man für Plastiktüten im Supermarkt bezahlen müsse, wie in Deutschland. Das wäre sicher ein erster Schritt...
Die legendäre Freundlichkeit
nicht verschweigen möchte ich die legendäre amerikanische Freundlichkeit. Selbst wenn man auf der Straße versehentlich jemanden anrempelt - man kann fest davon ausgehen, dass der Angerempelte sich dafür entschuldigt. Alles ist überschwänglich und überfreundlich - am Anfang fast schon etwas unangenehm. Es dauert etwas, bis man ein Gefühl dafür bekommt, was ernst gemeint ist und was nicht. Und als kühler, reservierter Deutscher kommt man sich immer unhöflich vor - egal, wie viel Mühe man sich gibt.
15. Oktober 2012 at 20:27
Hmm Tanja. Nun hast du einen kleinen Eindruck von unserer Welt bekommen. Habe ein bisschen Kritik an Deutschland vermisst ;) Mir ist übrigens während meines Deutschlandurlaubs aufgefallen, wie unfreundlich die Deutschen wirklich sind. Jeder hängt sich in deine Angelegenheiten und weiß natürlich immer alles viel besser als man selbst. Das ist mir in Amerika so extrem noch nicht passiert. Viele Amerikaner würden übrigens liebend gern öfter zu Fuß gehen. Allerdings mangelt es hier oft an den in Deutschland deutlich besser ausgebauten Bürgersteigen und Fußgängerzonen. Dies liegt wiederum an der schlechten Infrastruktur, die wiederum mit der Steuerfaulheit der Amerikaner zu begründen ist….
Mit der gesunden Ernährung muss ich dir recht geben. Wer hier Obst und Gemüse essen möchte, muss dafür etwas tiefer in die Tasche greifen. Besonders ein Besuch im Bioladen verursacht jedes Mal ein Loch im Haushaltsbudget. Tja, man muss halt Prioritäten setzen. So jetzt habe ich wieder viel zu viel gequatscht. Ich hoffe, es hat dir im Land der (un-) begrenzten Möglichkeiten gut gefallen und du kommst mich das nächste Mal besuchen! Ja, auch Kansas hat schöne Seiten! :)
15. Oktober 2012 at 20:53
@Silke danke für deinen langen Kommentar! Interessant, deine Perspektive zu lesen. Die Kritik an Deutschland fehlt, weil ich eben diesen Blick von außen nicht habe. Aber dass die Deutschen unfreundlich sind, kann ich bestätigen. Das war ein regelrechter Kulturschock, hier wieder anzukommen…
Was die schlechte Infrastruktur für Fußgänger angeht, hast du Recht, das ist mir auch aufgefallen.
So toll ich die USA fand – so bald werde ich wohl leider nicht mehr zurückkommen, der Urlaub war ganz schön teuer ;-) Aber vielleicht steht beim nächsten Mal auch Kansas auf dem Programm…
15. Oktober 2012 at 22:35
Also, ich fand die amerikanische Freundlichkeit total klasse – egal ob oberflächlich oder ernst gemeint, sind nette Menschen einfach angenehmer als unfreundliche. (Heute bin ich am Kölner Hauptbahnhof doch tatsächlich angefaucht worden, weil ich nicht schnell genug aus dem Weg gesprungen bin – mitten in einer Menschenmenge!)
In Neu-England hab ich tolle Supermärkte gesehen – mit Obst, Gemüse und Salat. Naja, das ist vielleicht nicht das typische Amerika. Aber Bio ist in Deutschland auch teuer!
Ich war ja letztes Jahr in Amerika und hätte nicht gedacht, dass mir Land und Leute so gut gefallen würden.
Ich hatte zum Beispiel echt den Eindruck, dass mit den vielen Schildern Schaden von den Leuten abgehalten und nicht nur Klagen verhindert werden sollten.
Sogar das 9/11-Trauma kann ich jetzt besser verstehen.
Die Reise hat sich in Sachen Völkerverständigung also total gelohnt. ;)
(Oder hab ich mich jetzt vom typisch amerikanischen Idealismus anstecken lassen?!)
16. Oktober 2012 at 7:38
@Isabell Eigentlich bin ich von dem Land auch total begeistert – ich musste nur (typisch deutsch ;-) ) erst die Klischees loswerden, bevor ich im nächsten oder übernächsten Eintrag jubeln kann ;-)
Was mir in Sachen „Völkerverständigung“ wahnsinnig viel gebracht hat, war die leider viel zu kurze Zeit bei meinen Verwandten. Denn alles davor war ja irgendwie doch nur der „Touriblick“ und dort hat man dann endlich ein Stück vom „richtigen“ Amerika gesehen und den Alltag einer Familie mitbekommen (wie leben sie, wie ist das mit der Kinderbetreuung und der Arbeit, was machen sie am Wochenende – sehr spannend!).
Und nachdem ich mih daran gewöhnt hatte, fand ich die Freundlichkeit auch ziemlich toll – ich bin nur von Natur aus ein skeptischer Mensch und kann mit so etwas schlecht umgehen, weil ich mich immer frage, wie ernst das gemeint ist (statt einfach zu „genießen“ ;-) ). Aber als in Deutschland wieder alle muffelig waren (fängt ja schon am Flughafen an!), habe ich mir das zurückgewünscht.
16. Oktober 2012 at 23:17
Jetzt misch ich mich mal schnell ein. Ich finde das witzig, denn meine beiden Freundinnen aus den Staaten fanden Europäer gerade deswegen gut, weil sie nicht immer superfreundlich sind. Ich zitiere wörtlich: „Yes, we are very polite, but it’s all false“ :D
So oder so muss ich jetzt mal sagen, dass man durchaus auch noch nette Menschen in Deutschland finden kann – ich hatte heute einen Busfahrer, der auf eine Dame gewartet hat, die nicht bei rot über die Ampel rennen wollte, um den Bus noch zu bekommen. Dennoch stimmt es durchaus auch, dass in den USA mehr Dauerhöflichkeit am Start war. Ich behaupte jetzt mal die Mitte machts, denn manchmal hätte ich auf dieses Dauergrinsen auch keinen Bock ;)